Es ist schon schwierig genug zu erklären, was die Neurographik ist. Meine Begegnung – oder auch Nicht-Begegnung - im Park hatte ich ja bereits erwähnt.
Jetzt möchte ich aber erklären, weshalb ich neurographisch zeichne.
Als ich die Neurographik kennenlernte, war ich einfach nur geflasht. Und da hatte ich selbst noch keine einzige Linie gezeichnet, geschweige denn verstanden, was die Neurographik bewirken kann.
Also, weshalb genau zeichne ich neurographisch?
Um diese Frage zu beantworten, möchte auch ich mich den unzähligen Stimmen anschließen, die von „schwierigen Zeiten“ und „besonderen Herausforderungen“ sprechen. Noch nie habe ich diese Worte so häufig gehört wie in den letzten Monaten. Und es werden immer mehr, die auf diese Weise formulieren, was nicht mehr zu übersehen oder zu überhören ist. Die Tatsachen sind inzwischen bei den meisten angekommen: Es wird nicht mehr werden wie früher, wir werden mit und in den „schwierigen Zeiten“ leben. Eine ganz persönliche schwere Krise habe ich bereits überwunden, überstanden – überlebt. Das, was ich jetzt erlebe, ähnelt dieser in vielerlei Hinsicht. Gemeinsam haben alle die Ohnmacht, die mich zunächst ergreifen will, egal, ob es um Traumabewältigung geht oder Klimakrise oder Krieg in Europa oder, oder, oder …
Aber genau bei dieser Ohnmacht will ich einfach nicht stehenbleiben. Und nun komme ich ganz allmählich zurück zu der Frage: Weshalb zeichne ich neurographisch?
Die Neurographik gibt mir Raum und Möglichkeit, gestaltend auf Ohnmachtsgefühle der Krisen um mich herum einzuwirken und mich zeitweise sogar aus dieser Ohnmacht zu befreien. Einzutauschen in das Reich von Linien, Formen und Farben – und sei es nur für ein paar Stunden – gibt mir die Kraft, die ich brauche, um in all den Krisen nicht unterzugehen, sondern immer noch bei mir zu sein.
Beim Zeichnen begebe ich mich in die Tiefe meines Selbst. Setze ich mich mit mir, meiner Vergangenheit und dem „Hier und Jetzt“ auseinander. Vor allem aber richte ich mich aus auf die Zukunft, die vor mir liegt. Mit jedem Bild aktualisiere ich mich mit den ständigen Veränderungen, finde neue Antworten auf neue Fragen, denn die alten Antworten haben uns ja hierher gebracht. Sie brauche ich also nicht mehr.
Der scheinbar grauen und tristen Hoffnungslosigkeit und Unsicherheit setze ich meine Farben und vor allem meine Gedanken entgegen. Direkt danach kann es sein, dass ich aufgewühlt bin oder mich doch für eine Weile zurückziehe. Aber schon bald spüre ich regelrecht, dass sich tatsächlich neue Nervenzellen gebildet haben. Ich sehe neue Wege vor mir. Es hat sich was getan!
Und so weiß ich, dass ich den vielen Krisen und Herausforderungen etwas entgegenzusetzen habe.
Ich erlebe mich selbstwirksam, erfahre durch das Zeichnen der zahlreichen Linien Verbundenheit – mit mir, mit anderen. Ich bin nicht allein!
Und am Ende eines jeden Prozesses nehme ich wahr, dass sich wieder etwas verändert hat:
mein Blick auf die Welt, meine Haltung zu ganz persönlichen Fragen. Ich gehe den nächsten Schritt in die Richtung, wo mich meine Linien hingeführt haben, folge der Erkenntnis, die ich gewonnen habe. Ich gehe kraftvoller heraus als ich hinein gegangen bin. Ich fühle mich beschenkt!
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