Im Sommer 2021 setzte die Künstlergruppe GÆG ein beeindruckendes alpines Kunstprojekt am Julierpass in der Schweiz um, das die Fragen zur Zeit und ihrer Wahrnehmung auf faszinierende Weise thematisierte. Ein außergewöhnliches Felsentor, von der Natur über Jahrtausende geformt, diente als Kulisse für diese Kunstinstallation. Über diesem Tor schwebte eine riesige Uhr.
Als ich davon las, war es, als stünde ich selbst vor dieser Uhr. So sehr berührte mich dieses Projekt, und für mich stand fest, es neurographisch umzusetzen. Ich fühlte mich eingeladen, meine eigene Beziehung zur Zeit zu reflektieren. Je näher, so las ich, man der Uhr kam, desto langsamer schienen sich ihre Zeiger zu bewegen, bis sie schließlich ganz stillstanden. Im Angesicht dieses stillen Zeitmessers, vor dem eindrucksvollen Felsentor, kam das Innehalten in den Vordergrund. Plötzlich zeigte die Uhr den Wandernden nicht nur die Zeit, sondern auch, dass sie Einfluss darauf hatten. Der Sekundenzeiger, der sich beim Weggehen wieder zu drehen begann, war gewiss eine eindringliche Erinnerung daran, dass wir die Kontrolle darüber haben, wann wir innehalten und den Moment wirklich erleben wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur ein einziger Mensch, der diese Installation erleben durfte, genauso wegging, wie er gekommen war.
Um diese Inspiration weiterzugeben, lud auch ich zum Innehalten ein. Neurographisch zeichneten wir und brachten so unsere eigenen Gedanken und Gefühle zu Papier. Es ging darum, Raum für das zu schaffen, was im hektischen Alltag oft zu kurz kommt. Während des Zeichenprozesses spürten wir, wie jede gezogene Linie eine Verbindung zu den eigenen Emotionen und Erlebnissen herstellte. Dabei entwickelte sich ein tiefes Verständnis dafür, wie wichtig es ist, sich Zeit zu nehmen, um nicht nur das Außen, sondern auch das eigene Innenleben wahrzunehmen.
Die Momente, die wir betrachten wollten, stellten wir als Kreise dar. Es war so wohltuend, die höchste Form der Harmonie zu nutzen, um uns eben jenen Momenten zu nähern, Kraft aus ihnen zu schöpfen. Das Innehalten, das wir durch das Zeichnen erfuhren und das nicht allen Teilnehmenden leichtfiel, zeigte uns, dass wir nicht nur Zuschauer unseres Lebens sind, sondern Akteure, die entscheiden können, wann sie innehalten und reflektieren möchten. Wir sollten uns bewusst diese Momente der Stille und des Nachdenkens schaffen, um so die Kraft zu finden, die Herausforderungen des Lebens mit Zuversicht anzugehen. In einer Welt, die ständig im Wandel ist, liegt die Einladung in der Kunst des Innehaltens. Wir dürfen uns in jedem Moment inspirieren lassen, bewusster mit unserer Zeit umzugehen und Raum für die Reflexion zu schaffen. Denn in den stillen Momenten offenbart sich oft die tiefste Weisheit.
„Innehalten – Betrachten
Empfinden – Besinnen
Anders weitermachen.“
Otto Pötter
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