Heute ist Barbara-Tag. Ich bin geneigt, mich auf den Weg zu machen und zum ersten Mal in meinem Leben einen Apfelbaumzweig abzuschneiden, um ihn in die Vase zu stellen. Aber der Gedanke ist kaum gedacht, da kommen mir Zweifel, ob ich damit nicht dem Baum schade. Ich spüre förmlich, wie weh ihm der Schnitt tun wird. Und dann weiß ich noch nicht einmal, ob an Weihnachten wirklich Blüten aufgehen. Tatsächlich verwerfe ich den Plan, aber den Gedanken des Aufblühens, das Symbol, das in der Legende steckt, geht mir noch weiter nach.
Nicht nur, weil Winter ist, ist mir die Vorstellung eines blühenden Zweiges fern, sondern auch, weil es in der Welt gerade fast nirgendwo so aussieht, als könnte es in uns und um uns jemals wieder blühen. Das ist Unsinn, das weiß ich, denn die Natur ist so stark. Egal, was wir Menschen machen, die Bäume werden wieder blühen. Werden sie? Auch wenn das Artensterben immer weiter fortschreitet? Wenn gar keine Bienen mehr da sind, die die Bäume bestäuben können? Was dann?
In mir erwacht der übliche Mechanismus: Ich will etwas tun, verändern und vor allem aufhalten. Aber ich kann es nicht.
Es gibt einen Spruch: Es ist besser, ein kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu beklagen. Es fällt mir schwer, diese Worte in ihrer Bedeutung an mich heranzulassen. Einfach ein Licht anzünden? Das soll reichen? Na ja, Dumbledore hat es auch gesagt: „Aber glaubt mir, dass man Glück und Zuversicht selbst in Zeiten der Dunkelheit zu finden vermag. Man darf nur nicht vergessen, ein Licht leuchten zu lassen.“ - aus: „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“
Die Antwort finde ich auf mehreren Ebenen. Ja, eine einzige Kerze kann einen ganzen Raum erhellen. Es ist ein wunderbares Erlebnis, wenn eine Kirche durch das Weitergeben eines Kerzenlichts immer und immer heller wird, wie es oft in der Osternacht oder am Heiligen Abend in vielen Kirchen praktiziert wird. Und plötzlich ist es so hell, dass es keines weiteren Lichts bedarf, um den Liedtext lesen zu können.
Ein Licht anzuzünden, hat aber auch mit Wahrnehmen und Handeln zu tun: Ich nehme wahr, dass es dunkel ist, und tue etwas dagegen.
Jetzt bin ich gefragt. Ja, ich sehe ein, dass ich die Welt alleine nicht retten kann, aber ich kann im Kleinen agieren. Ich kann die Kriegsherren nicht stoppen, aber ich kann zu Frieden in meiner Familie, an meinem Arbeitsplatz, in meiner Stadt beitragen.
Ich kann soziale Ungerechtigkeit nicht verhindern, aber ich kann helfend zur Seite stehen, wenn ich merke, dass ein Mensch neben mir ungerecht behandelt wird.
Wie gerne würde ich allen Obdachlosen helfen, denen ich begegne, wenn ich in Köln unterwegs bin. Auch das ist unmöglich. Aber ich kann mir bereits zu Hause mehrere 50-Cent-Stücke in die Jackentasche stecken, um sie nach und nach zu verteilen.
Ein Licht anzuzünden, einen Zweig zum Blühen zu bringen mitten im Winter, hat meiner Meinung nach aber auch mit Veränderung zu tun. Ich muss mein Verhalten ändern, um die Zerstörung der Schöpfung aufzuhalten. Da reicht es nicht, eine Bambuszahnbürste zu benutzen. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Mir kommt ein Kinderlied in den Sinn, das ich früher mit meinen eigenen Kindern, aber auch in der Schule immer wieder gesungen habe: „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun können das Gesicht der Welt verändern.“ Woran habe ich damals eigentlich gedacht?, frage ich mich heute. Bestimmt nicht an einen Krieg in Europa, an die Gefährdung unserer Demokratie, an Erderwärmung und Artensterben. Dabei stimmt diese Aussage bis heute: Viele Menschen, die das tun, was ihnen möglich ist, und scheint es noch so klein zu sein, können unsere Welt verändern.
Ich werde dennoch keinen Zweig abschneiden, aber die Kerze, die zünde ich jetzt schon an.
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